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Dr. Annabelle Mockesch, LL.M.

Dr. Annabelle Möckesch, LL.M. im Porträt

"Ich habe erst mit Kind wirklich gemerkt, wie kostbar Zeit ist."

Dr. Annabelle Möckesch, LL.M., Senior Associate bei Schellenberg Wittmer*, über ihre bereichernde Arbeitserfahrung im Ausland, ihren Weg zur Schiedsgerichtsbarkeit, den Unterschieden zwischen Deutschland und der Schweiz und der Notwendigkeit einer absoluten Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau.

Liebe Annabelle, Du arbeitest als Senior Associate bei Schellenberg Wittmer im Bereich Schiedsverfahrensrecht. Was hat Dich zu dieser Kanzlei geführt?

Dafür gab es private und berufliche Gründe. Mein Mann und ich lebten in unterschiedlichen Städten in Deutschland: er in Frankfurt, ich in Hamburg. Wir suchten einen Ort, an dem wir beide gerne leben und arbeiten würden. So kamen wir dann auf die Schweiz und Zürich. Schellenberg Wittmer war aufgrund der internationalen Ausrichtung meine erste Wahl. Es war damals auch eine der wenigen Kanzleien, die Associates mit ausländischen Zulassungen einstellten. Glücklicherweise hat es dann auch geklappt.

Rückblickend sind mein Mann und ich beruflich wie privat sehr froh, diesen Schritt gegangen zu sein. Wir lieben Zürich, den See und die Berge um uns herum und haben hier viele tolle Freunde gefunden – für uns ein idealer Ort für unsere kleine Familie.

Nach Deinem Studium an der Humboldt Universität in Berlin und dem ersten Staatsexamen, warst Du in London an der LSE im LL.M. Wie würdest Du diese Zeit beschreiben?

Das war für mich eine ganz tolle Zeit, die ich nicht missen möchte. Ich hatte kurz vorher mein erstes Staatsexamen in Berlin abgeschlossen und genoss nach der ganzen Lernerei eine spannende Zeit mit vielen interessanten Menschen, wobei ich mit ein paar von ihnen heute noch einen engen Kontakt habe. London ist zudem eine unglaubliche Stadt, in der es endlos viel zu entdecken gibt. Ein Jahr reicht dafür gar nicht aus. Rückblickend würde ich den LL.M. aber wahrscheinlich nicht mehr direkt nach dem ersten Staatsexamen, sondern erst mit ein paar Jahren Berufserfahrung machen, so wie es in der Schweiz auch üblich ist.

Du hast den Doktortitel an der Universität Heidelberg erworben. Wie schätzt Du die Bedeutung eines Doktortitels in der heutigen Zeit ein?

Mit 25 dachte ich, ich würde den Doktortitel brauchen, um als Frau in der juristischen Welt ernst genommen zu werden. Das würde ich heute nicht mehr ganz so sehen. Ich glaube aber auch heute noch, dass die Erfahrung, ein solches Projekt fertig gestellt zu haben, einen weiterbringt und wertgeschätzt wird. Aber es muss einem auch klar sein, dass das Verfassen einer solchen Arbeit einiges an Zeit und Disziplin braucht. Ich habe meine Doktorarbeitszeit sicher nicht als die schönste Zeit meiner Ausbildung in Erinnerung und ich bin mir nicht sicher, ob ich es nochmal machen würde. Wenn ich mich zwischen LL.M. und Doktorarbeit entscheiden müsste, würde ich immer den LL.M. machen. Da hält man dann zwar kein Buch, aber wenigstens nach einem Jahr sicher einen Titel in den Händen. Das Jura-Studium plus Anwaltsprüfung dauert sowieso schon sehr lange.

Wie bist Du zum Schiedsverfahrensrecht gekommen?

Wie viele andere auch durch den Willem C. Vis Moot in Wien und Hong Kong, an dem ich 2005/2006 als Teammitglied der Humboldt-Universität teilgenommen habe. Dort traf ich Studenten aus der ganzen Welt. Ich fand damals die Vorstellung toll, an grenzüberschreitenden, internationalen Sachverhalten arbeiten zu können.

Nach dem ersten Staatsexamen ging ich dann für den LL.M. nach London an die LSE. Dort habe ich u.a. Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit belegt und das Vis Moot Team gecoacht. Während des LL.M.-Studiums habe ich auch noch als Praktikantin beim Chartered Institute of Arbitrators und danach in der Schiedsverfahrensabteilung von Wilmer Hale in London gearbeitet. Danach begann ich, meine Doktorarbeit zu einem schiedsrechtlichen Thema zu schreiben. Und so ging es dann irgendwie immer weiter im Schiedsverfahrensrecht.

Wie wichtig waren Dein Praktikum am ICC International Court of Arbitration in Paris und Deine Stelle als Assistant Legal Counsel am Permanent Court of Arbitration (PCA) in Den Haag für Deine berufliche Spezialisierung?

Mein Praktikum bei der ICC dauerte nur zwei Monate. Es gab mir die Möglichkeit, in die Arbeit einer der führenden Schiedsinstitutionen hineinzuschnuppern, und hat mich mit den Abläufen innerhalb der ICC vertraut gemacht, was mir bei meiner Arbeit heute noch gelegentlich hilft.

 

Meine Zeit am PCA war für mich eine absolut prägende und beeindruckende Erfahrung und dies nicht nur, weil der PCA die älteste Schiedsinstitution der Welt und im Friedenspalast untergebracht ist. Ich durfte dort an vielen sehr spannenden Investitionsschiedsverfahren mit tollen Kollegen und sehr erfahrenen Schiedsrichtern ein Jahr lang arbeiten. Ich glaube, dass der PCA einem Türen öffnen kann, gerade wenn man international arbeiten möchte. Ich kann jedem nur sehr empfehlen, dort eine gewisse Zeit zu verbringen.

Jetzt arbeitest Du schon seit fast vier Jahren bei Schellenberg Wittmer in Zürich. War es herausfordernd, als deutsche Anwältin in der Schweiz Fuss zu fassen?

Das war es auf jeden Fall. Anders als in Deutschland erhielt ich hier keine Vorschusslorbeeren. Das Vertrauen meiner Chefs musste ich mir hart erarbeiten und das hat sicher länger gedauert, als dies in Deutschland der Fall gewesen wäre. Heute merke ich im Umgang mit meinen Chefs aber keinen Unterschied mehr im Vergleich zu meinen Schweizer Kollegen.

Stellst Du Unterschiede bzgl. Umgang, Arbeitsweisen oder Prozessen fest zwischen den schweizerischen und deutschen Kanzleien?

Es ist wahrscheinlich keine Überraschung, wenn ich sage, dass die Schweizer generell etwas höflicher und zurückhaltender sind. Da musste ich lernen, mich mit meiner eher direkten Art etwas anzupassen. Bei der eigentlichen Arbeit sehe ich keine grossen Unterschiede.

Du bist im Februar 2019 Mamma geworden. Was für Veränderungen bringt euer Kind für Dich und Deinen Ehemann beruflich mit?

Man hat nicht mehr unbegrenzt Zeit für die Arbeit. Vor der Geburt unserer Tochter musste ich nicht zu gewissen Zeiten am Abend das Büro verlassen, sondern konnte meine Arbeit fertig machen, und bin einfach danach nach Hause gegangen. Heute verlasse ich das Büro zu einer festen Zeit, da ich noch kurz mit meiner Tochter spielen und sie dann ins Bett bringen möchte. Für meinen Mann gilt das Gleiche. Der Tag wird dadurch stressiger und das eine oder andere Pläuschchen zwischendurch entfällt. Wenn einer von uns oder wir beide am Wochenende arbeiten müssen, muss das anders als früher koordiniert werden. Auch Reisen müssen abgesprochen werden. Überhaupt koordinieren mein Mann und ich unseren Terminplan sehr viel besser.

Ich habe erst mit Kind wirklich gemerkt, wie kostbar Zeit ist. Leider hat man davon viel zu wenig. Und das finde ich auch das schwierigste an dem Job in einer Kanzlei: Er verlangt einem einen sehr hohen zeitlichen Einsatz ab.

Gibt es Deiner Ansicht nach einen guten Zeitpunkt für die Gründung einer Familie?

Ein guter Zeitpunkt ist, wenn man meint, den richtigen Partner gefunden zu haben und bereit ist für das absolut lebensverändernde Projekt Familie. Das kann früh in der Karriere sein oder auch erst spät. Ich habe Freundinnen, die ihre Kinder bereits während des Referendariats bekommen haben, andere erst als sie bereits Partnerinnen waren. Jeder Zeitpunkt hat seine Vor- und Nachteile.

Darüber hinaus bin ich froh, dass ich schon zweieinhalb Jahre bei Schellenberg Wittmer war, als ich mein Kind bekommen habe. Zu diesem Zeitpunkt kannten meine Chefs mich bereits gut und ich glaube, dass das insbesondere meine Rückkehr nach dem Mutterschaftsurlaub für mich einfacher gemacht hat.

Im Übrigen kann man anders als viele berufliche Projekte die Familiengründung zeitlich sowieso nicht wirklich planen und ich glaube, dass es keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt gibt. Ein Kind ist ein wundervolles Geschenk, das egal in welcher Lebenslage Dein Leben auf den Kopf stellt.

Im Gegensatz zur Elternzeit in Deutschland von mind. zwölf Monaten sieht das Schweizer Gesetz einen Mutterschaftsurlaub von zwölf Wochen vor. Wie stehst Du zu diesen unterschiedlichen Modellen?

Zwölf Monate finde ich zu lang; zwölf Wochen wären mir persönlich aber auch zu kurz gewesen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, meine Tochter nach drei oder vier Monaten in eine Krippe zu geben. Einen Mittelweg von sechs bis neun Monaten fände ich gut. Auch fände ich super, wenn Väter einen Teil der Elternzeit übernehmen könnten; z.B. ich als Mutter sechs Monate plus mein Mann danach weitere zwei oder drei Monate. Das wäre meine Idealvorstellung.

In Deutschland muss man ja auch nicht zwölf Monate zu Hause bleiben. Aber dadurch, dass das mittlerweile so üblich geworden ist, nehmen die meisten die vollen zwölf Monate. Ich hätte das wahrscheinlich auch so gemacht, wenn ich immer noch in Deutschland leben würde. Ich bin schlussendlich nach sechs Monaten wieder im Büro gewesen.

Wie habt Ihr Euch als Familie organisiert, um den Wiedereinstieg ins Berufsleben mit Kind zu ermöglichen?

Wir hatten die ersten acht Monate das grosse Glück, dass unsere Mütter abwechselnd von Montag bis Donnerstag auf unsere Tochter aufgepasst haben. Dazu haben sie sich auch noch um den Haushalt gekümmert und uns jeden Abend bekocht. Besser hätten wir es nicht treffen können. Für meinen Wiedereinstieg ins Berufsleben war das super, weil ich meine Tochter ideal aufgehoben wusste, und wenn es dann doch mal eine halbe Stunde länger im Büro dauerte, stand ich auch nicht vor einer verschlossenen Krippen-Türe. Ich musste bloss meiner Mutter oder Schwiegermutter Bescheid geben.

Mittlerweile geht unsere Tochter in die Krippe, und wir haben grundsätzlich keine Grossmütter mehr vor Ort, die uns unterstützen könnten. Das war natürlich nochmal eine grosse Umstellung für uns und hat uns vor ganze neue organisatorische Herausforderungen gestellt.

Glücklicherweise hat unsere Tochter grossen Spass in der Krippe und tolle Betreuerinnen und der Kontakt mit den anderen Kindern tut ihr gut. Das macht es uns sehr viel einfacher, sie von Montag bis Freitag den ganzen Tag dort abzugeben.

Der Berufsalltag in einer Anwaltskanzlei ist sehr zeitintensiv und manchmal nur schwer planbar. Was müsste sich Deiner Meinung nach ändern, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern?

Eine absolute Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Mit Gleichberechtigung meine ich, dass sich Männer gleichermassen am Familienleben beteiligen können, ohne dass dies ihren Karrieren schadet. Das könnte zum Beispiel heissen, dass Frauen und Männer sich die Elternzeit nach der Geburt aufteilen oder beide in Teilzeit arbeiten.

Gewisse Veränderungen sind sicherlich schon sichtbar, aber nicht so, dass man von absoluter Gleichberechtigung sprechen könnte. Ich glaube schon noch, dass im Kanzleiumfeld die Teilzeitarbeit für Männer ein Karrierehindernis sein kann. Zusätzlich stellt sich bei Teilzeit immer auch noch die Frage, ob man entsprechend weniger Arbeit hat oder einfach die gleiche Arbeitsbelastung für weniger Geld, was in vielerlei Hinsicht nicht besonders befriedigend ist.

Ein anderer wichtiger Punkt ist Flexibilität. So wie von mir eine gewisse Flexibilität erwartet wird (mit Arbeiten am Wochenende und am Abend wenn erforderlich), zähle ich auch auf die Flexibilität meines Arbeitgebers. Damit meine ich, dass es kein Problem sein sollte, wenn man schon mal um 17.30 Uhr die Kanzlei verlässt, um sein Kind rechtzeitig aus der Krippe abholen zu können, auch wenn die "Kernarbeitszeit" eigentlich bis 18 Uhr ginge. In dieser Hinsicht hat sich, glaube ich, in der Schweiz schon viel geändert, und dies ist auch bei uns in der Kanzlei z.B. gar kein Problem.

Neben einem fordernden Berufsalltag bist Du zusätzlich noch Bundeskoordinatorin der DIS40 sowie Mitglied im Steering Committee von Young ArbitralWomen Practitioners (YAWP). Wie wichtig sind diese Engagements für Dich?

Die Arbeit in beiden Gruppen nimmt viel Zeit in Anspruch, macht mir aber vor allem grossen Spass. Schöne Projekte, die wir auf die Beine stellen konnten, sind das zusammen mit der DIS organisierte Mentoring Programm und die von YAWP organisierte Veranstaltungsreihe "Arbitral Parents", wo Frauen und Männer gemeinsam die Vereinbarkeit einer Karriere im Schiedsverfahrensbereich mit dem Elternsein diskutieren.

Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?

Es gibt einige Frauen, die mich inspiriert haben. Dazu gehört auch Judith Sawang, meine ehemalige Tutorin während des Referendariats bei Hengeler Mueller. Judith ist mittlerweile Counsel bei Wendelstein in Frankfurt.

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast!

Zürich, 12. Februar 2020. Das Interview führte Florence J. Jaeger.
* Anm. d. Red.: Als das Interview geführt wurde, war Dr. Annabelle Möckesch, LL.M. noch Senior Associates bei Schellenberg Wittmer.

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