Dr. Petra Arends-Paltzer im Porträt
"Nicht jede Geschäftsidee wird zum Kassenschlager."
Dr. Petra Arends-Paltzer, Gründerin des Davos Digital Forum, Swiss Legal Tech, rechtdigital.eu und Co-Autor «Die digitale Transformation in der Anwaltskanzlei» über das Wagnis eines Neuanfangs und die Chancen der Digitalisierung.
Liebe Petra, Du hast mit über fünfzig noch einmal den Neuanfang gewagt und bist heute Beraterin zu Digitalisierung und Marketing, hast rechtdigital.eu, das Davos Digital Forum gegründet und warst Mitbegründerin der Swiss Legal Tech Hackathon + Conference. Wie kamst Du auf die Idee für diese Geschäftskonzepte?
Ich habe bei zahlreichen internationalen Banken gearbeitet, der Admin-Aufwand wuchs ins Unermessliche und dann gab es noch das monatliche Reporting, im Regelfall an Vorgesetzte, deren Qualifikationen mich nicht überzeugt haben …. Ich hatte auf diese Art der Arbeit einfach keine Lust mehr. Vor mehr als fünf Jahren habe ich gesehen, dass an der Reise in die digitale Welt nichts vorbeiführt − und da wollte ich unbedingt dabei sein, denn das fand ich nicht bedrohlich, sondern super spannend. So habe ich den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und habe mich dann in den USA und in Asien, in Webinaren und Online Akademien weitergebildet und den riesigen Bedarf im Bereich "Coaching + Digitale Transformation/Marketing" gesehen. Dabei habe ich entdeckt, dass es neue digitale Businessmodelle gibt und wie sehr diese mit dem Thema Marketing verknüpft sind. Da ich selbst Mitglied im Brand Management Team einer internationalen Bank war, konnte ich viele dieser neuen Geschäftsmodelle übernehmen und in der Folge optimieren um mein eigenes (digitales) Business aufzubauen, welches heute weit über die reine Juristerei hinausgeht. Denn Juristerei habe ich nie als innovativ empfunden. Das ist einer der Gründe dafür, dass ich nach zehn Jahren Juristerei ja auch im Banking und Branding gelandet bin.
Was hat dich nach deiner langen Zeit als angestellte Juristin motiviert, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?
Ich hatte einfach keine Lust mehr auf diese stereotypen Arbeitsabläufe, die oft in der Juristerei vorkommen. Ich habe in der Selbständigkeit auf dem sich ständig ändernden digitalen Terrain viel mehr Chancen als Gefahren gesehen. Gleichwohl habe ich aber unterschätzt, wie viel Zeit, Enthusiasmus und Einsatz es braucht, das eigene Business aufzubauen. Rückblickend kann ich sagen, wenn aus einer eigenen Idee ein tragbares Geschäftsmodell entsteht, dann will man nie wieder zurück. Heute empfinde ich die Arbeit nie als belastend und es fallen mir ständig Ideen ein, wie ich die Breite und die Tiefe meines Geschäftsmodells weiterentwickeln kann.
Gibt es für eine solche Entscheidung den "richtigen" Zeitpunkt?
Ja, den gibt es meines Erachtens! Wenn man zum Beispiel realisiert, dass man nie Partner oder Parterin wird, dass sich an den verkrusteten Unternehmensstrukturen nichts ändert, dann sollte man sich etwas Neues überlegen. Und ganz generell, wenn man sich am Montag auf den Freitag freut und am Samstag schon traurig ist, weil einem nur noch der Sonntag bleibt, dann ist der Zeitpunkt gekommen, zu gehen.
Und was braucht es noch ausser guten Ideen für den Erfolg als Selbstständige?
Man braucht zwingend die Unterstützung des Umfeldes, in meinem Falle, meines Mannes. Der hat mich von der ersten Sekunde an unterstützt. Warum das so wichtig ist? Es ist nicht so, dass das Geschäft am Tag eins läuft. Ständig muss man Anpassungen vornehmen − es gibt auch keine Vorbilder, an denen man sich orientieren kann, da ja dieses Business ganz neu ist. Man kämpft am Anfang an vielen Fronten − und da muss man wenigstens auf der privaten Seite im ruhigen Fahrwasser unterwegs sein. Auf Dauer kann man nämlich einfach nicht an allen Fronten "kämpfen". Und eine weitere Sache ist ganz wichtig: Man kann sich nur in der Nische positionieren, in der man Expertise und Glaubwürdigkeit mitbringt. Zum Schluss muss gerade und insbesondere auch in der digitalen Welt Vertrauen aufgebaut werden. Man muss in der Nische, die man besetzen will, einen "Track Record" vorweisen, sonst ist man nicht glaubwürdig. Und das ist eben in der digitalen Welt vielleicht noch wichtiger als in der analogen, denn die Menschen "kennen" einen ja nicht. Mal einfach so ein Business zu starten, in dem man nicht zu Hause ist, funktioniert sicher nicht.
Wie erhältst Du dir die Energie und Freude an deiner Tätigkeit, wenn es einmal Rückschläge gibt?
Nicht jede Geschäftsidee wird zum Kassenschlager. Auch bei mir hat nicht alles auf Anhieb geklappt. Aber ich habe immer daran geglaubt, dass ich am Ende der Durststrecke Erfolg haben werde. Wie gesagt, mein Mann war und bleibt mein bester Sparringpartner. Und nach einigen Jahren Selbstständigkeit kennt man so viele Gleichgesinnte, die einen unterstützen und Kraft geben. Mit denen zusammen entwickelt man neue Ideen −so z.B. meine Coaching-Wochenenden mit der tollen Co-Moderatorin Sabrina Keese-Haufs. Ausserdem ist das Gefühl, dass man sich selbst durch sein eigenes Geschäft ein stabiles Netzwerk aufgebaut hat, Gold wert.
Wo liegen aus deiner Sicht die grössten Chancen durch Digitalisierung für Kanzleien und Unternehmen?
Die Unternehmen/Kanzleien, die sehen, wohin die Reise führt, was ihre Kunden/Klienten wollen, unternehmen von sich aus alles, um digital in der ersten Liga mitzuspielen, d.h. die Prozesse/Abläufe zu automatisieren und damit den Kundenbedürfnissen = 24/7 gerecht zu werden. Der KUNDE ist KÖNIG. Diese Unternehmen wird es dann auch in zehn Jahren noch geben.
Du hast einmal gesagt, "die Rechtswelt verändert sich". Was werden aus deiner Sicht Herausforderungen sein, denen sich Juristen und Juristinnen stellen müssen?
Digitale Plattformen zu beobachten, die skalierbare Businessmodelle wie flightright.de, meinbafög.de, meinpflichtteil.de aufbauen. Wenngleich sich die Zielkundschaft dieser Plattformen vom Wunschmandanten bzw. -Klienten eines M&A Anwaltes unterscheidet, sollte man hier nicht arrogant sein, also nicht unterschätzen, wie es diesen Plattformen gelingt, sich am Markt zu positionieren und Daten zu sammeln. Damit dürfte die ein oder andere (belächelte) Plattform in Zukunft möglicherweise ein echter Wettbewerber werden.
Und wie können/sollten sich Juristinnen und Juristen darauf einstellen?
Wenn Juristen und Juristinnen ihre Businessmodelle nicht der digitalen Realität, in der alle Teilnehmer Zugang zu Services und Dienstleistungen 24/7 haben möchten, anpassen, werden sie langfristig ins Hintertreffen geraten. Oftmals ist schon ein Schritt erreicht, wenn man die Abwehrhaltung ausschaltet und einmal einen Blick über den Tellerrand wirft, um zu schauen, wie andere Branchen auf die Herausforderungen reagieren. Innovative Mitbewerber mit Klagen oder Abmahnungen zu überhäufen ist sicher nicht die Lösung, um im Wettbewerb zu bestehen.
Dein anderes Standbein ist die Beratung digitales Marketing + Branding für Juristinnen und Juristen. Wo besteht hier Nachholbedarf?
Marketing und Branding kommt in der Juristenausbildung nicht vor. Es wird von vielen Juristen und Juristinnen als "Softskill" eingestuft und wenig ernst genommen. Wenn überhaupt, dann wird das Marketing an den jüngsten Mitarbeiter oder die jüngste Mitarbeiterin abgegeben. Diese Haltung ist ein grosser Fehler und ein Zeichen dafür, dass das Thema bei den meisten Juristen und Juristinne nicht auf der Prioritätenliste steht. Firmen wie geblitzt.de und andere, die skalierbare juristische Dienst anbieten, stecken einen Grossteil ihrer finanziellen Mittel in das digitale Marketing. Und eine Anwaltskanzlei wie Wilde/Beuger/Solmecke, die mittlerweile einen YouTube Kanal mit mehr als 500'000 Followern bespielen, geben beträchtliche Summen für das Marketing aus. Oder, um es mit Henry Ford zu sagen "Wer nicht wirbt, der stirbt". Der Nachholbedarf der Juristen/innen ist enorm. Denn eine Hauptansicht vieler Juristen/innen besteht darin, dass sie meinen alles und alles besser zu wissen und leider auch zu können (ich schliesse mich hier ein), statt anzuerkennen, dass jemand, der ein Studium im Bereich digitales Marketing abgeschlossen hat, von diesem Thema möglicherweise mehr Ahnung hat als man selbst.
In deinen Workshops nehmen gleichermassen Frauen und Männer teil. Gibt es Unterschiede, wie Männer und Frauen an Marketing herangehen?
Auch wenn das jetzt wie eine Stereotype klingt − Frauen sind bei diesem Thema im Regelfalle wesentlich aufgeschlossener, weil sie sich im Leben öfters bei Veränderungen, zum Beispiel Gründung einer Familie, neu orientieren und den sich ändernden Gegebenheiten anpassen müssen.
Welche Juristin hat dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Sabrina Keese Haufs. Sie hat sich vor vier Jahren selbstständig gemacht, als Anwältin eine Facebook (!!) Gruppe "lawlikes" gegründet und ist heute als online Unternehmerin im höchsten Masse erfolgreich.
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast!
Zürich/Davos, 10. Januar 2020. Dr. Arends-Paltzer hat das Interview schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Charlotte Rosenkranz.
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