Dr. Sibylle Schnyder, LL.M., im Porträt
"Mehr Familienbetreuung durch Väter würde m.E. die Akzeptanz von Teilzeitarbeit fördern."
Dr. Sibylle Schnyder, LL.M., Partnerin bei CMS von Erlach Poncet, über internationale Unterschiede in Kanzleikulturen und die Rolle von Männern für gleichberechtigte Karrieremöglichkeiten von Männern und Frauen.
Frau Dr. Schnyder, Sie sind seit 2013 Partnerin bei CMS in Zürich und zugleich die erste und einzige Partnerin dort. Woran liegt es, dass in der Schweiz relativ wenige Partnerinnen in Großkanzleien tätig sind?
Dies ist meines Erachtens auf eine Mischung von verschiedenen Faktoren zurückzuführen. Traditionell sind Grosskanzleien von der Firmenstruktur und Arbeitskultur primär auf Anwälte und Partner im Vollverdienermodell zugeschnitten (d.h. 100% berufstätig und kinderlos bzw. mit Partner/in in einem kleinen oder ohne Erwerbsarbeitspensum). Es braucht sehr viel Zeit, bis sich ein anderes Modell wie Teilzeitarbeit durchsetzt; die vollständige Anerkennung von Teilzeitarbeit wird wohl erst erreicht sein, wenn sie sich auch bei Männern etabliert hat. Schliesslich denke ich, dass es jungen und ehrgeizigen Anwältinnen leider immer noch an Rollenvorbildern fehlt. Dieses Manko wird ja nun zum Glück durch breaking.through angegangen! (lacht)
Sie haben 2005 Ihren LL.M. an der renommierten University of Cambridge absolviert und 2008 Ihre Promotion an der Universität Basel abgeschlossen. Welche Bedeutung haben Titel im Allgemeinen und eventuell im Besonderen für Frauen?
Tendenziell nimmt die Bedeutung von Titeln nach meiner Wahrnehmung in Grosskanzleien etwas ab. Statt einer Dissertation wird einschlägige Berufs- oder Lebenserfahrung bei Bewerbungen fast mehr geschätzt. Für Frauen, insbesondere im jüngeren Alter, könnten Titel aber durchaus hilfreich sein, wenn man sich z.B. bei älteren oder ausländischen Klienten und Gegenparteien behaupten muss und mit einem Titel noch einen etwas "gewichtigeren" Anstrich erhält.
Nach Ihrem LL.M. haben Sie für einige Monate im Londoner Büro von CMS gearbeitet. Haben Sie dort Unterschiede zum Büroalltag in Zürich wahrgenommen, insbesondere Unterschiede der Karrieremöglichkeiten für Frauen? Falls ja, können Sie sich diese erklären?
In London ist mir aufgefallen, dass viele Mütter Vollzeit arbeiten. Möglicherweise stecken finanzielle Gründe dahinter aber jedenfalls schien es mir, dass Vollzeit arbeitende Mütter gesellschaftlich besser akzeptiert wurden als in der Schweiz. Zudem gibt es in den Wirtschaftskanzleien in London viel mehr Partnerinnen als in der Schweiz – somit gibt es automatisch mehr "role models". Partnerinnen werden in London viel selbstverständlicher wahrgenommen.
Was macht in Ihren Augen eine schweizerische Grosskanzlei aus?
Den Reiz einer Grosskanzlei sehe ich darin, dass interessante und oftmals internationale Klienten und Transaktionen betreut werden können. Dank der interdisziplinären Zusammenarbeit mit anderen Teams innerhalb der Kanzlei kann einerseits ein hochkarätiger Service erbracht werden, andererseits macht die Zusammenarbeit auch Spass und ermöglicht den Einblick in andere Rechtsgebiete.
Es gibt einige Beispiele deutscher Juristinnen und Juristen, die in der Schweiz tätig sind. Welchen Ratschlag würden Sie weiteren Anwärterinnen und Anwärtern aus Deutschland für den schweizerischen Berufsmarkt mit auf den Weg geben?
Die Schweiz ist im Vergleich zu Deutschland ein sehr kleines Land, was sich unter anderem auch auf die Geschäfts- und Streitkultur auswirkt. Deutsche Juristinnen und Juristen müssen sich am Anfang vielleicht etwas umstellen, da hier tendenziell weniger aggressiv und häufig sehr kompromissorientiert vorgegangen wird. Sodann gibt es natürlich in den beiden Rechtsordnungen viele Parallelen, aber eben auch Unterschiede. Hier sind die Juristinnen und Juristen im Vorteil, welche sich auf ein klar abgegrenztes Rechtsgebiet spezialisieren und sich so rasch ins Schweizer Recht einarbeiten können.
Wie würden Sie die allgemeine Vereinbarkeit von Familie und Karriere für Juristinnen und Juristen beschreiben?
Grundsätzlich scheint mir der Juristen- und insbesondere Anwaltsberuf sehr geeignet für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zur Ausarbeitung von Rechtsschriften oder Verträge muss man nicht zwingend während den normalen Arbeitszeiten am Bürotisch sitzen. Mit den modernen Infrastrukturen ist die Arbeit bis zu einem gewissen Grad zeit- und ortsunabhängig. Hat man häufig Conference Calls mit US-Klienten kann man diese auch gut dann abhalten, wenn die Kinder schon im Bett sind. Als (externe) Anwältin (und insbesondere als Partnerin) hat man einen viel grösseren Einfluss auf die eigene Agenda als in anderen Berufen.
Der Mutterschutz in der Schweiz liegt bei 14 Wochen. Wenn ich fragen darf, wie sind Sie hiermit umgegangen? Wie hat Ihre Kanzlei Ihnen hierbei gegebenenfalls geholfen?
Bei der Geburt meiner Töchter habe ich zusätzlich noch etwas unbezahlten Urlaub nehmen können und bin somit erst fünf bzw. vier Monate nach der Geburt wieder ins Büro zurückgekehrt. Meine Kanzlei war diesbezüglich sehr kooperativ.
Die Gesetzesänderung für zwei Wochen Vaterschaftsurlaub wurde im vergangenen Jahr auf Bundesebene erwirkt. Kann man Ihrer Meinung nach von einem allgemeinen Trend in der Schweiz sprechen, dass Väter mehr Zeit für die Familie einfordern?
Eine gewisse Tendenz lässt sich schon ausmachen, aber in der Praxis gäbe es meines Erachtens noch mehr Handlungsbedarf bei Vätern. Mehr Familienbetreuung durch Väter würde meines Erachtens die Akzeptanz von Teilzeitarbeit fördern und damit auch den Frauen in der Berufswelt zugutekommen. Ganz zu schweigen natürlich von der Entlastung für berufstätige Mütter und der Vorbildwirkung für den Nachwuchs und damit die jüngste Generation!
Mittlerweile können Väter nach der Geburt eines Kindes zwei Wochen frei nehmen. Erleben Sie es in Ihrer Kanzlei, dass Anwälte in diesem Fall mehr Urlaub nehmen?
Einen gesetzlichen Vaterschaftsurlaub gibt es momentan in der Schweiz noch nicht; im Herbst dieses Jahres soll das Stimmvolk über den indirekten Gegenvorschlag zu einer Volksinitiative zum Thema Vaterschaftsurlaub abstimmen (Anm. d. Redaktion: zur Zeit des Interviews stand die Volksabstimmung vom 27. September 2020 noch aus). Wir haben in den Arbeitsverträgen unserer Kanzlei einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub vorgesehen, von welchem frischgebackene Väter in aller Regel auch Gebrauch machen.
Als Partnerin sind Sie mitverantwortlich für die Teamleitung. Wie können Ihrer Meinung nach die Kanzleien darauf einwirken, dass eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Karriere gewährleistet ist?
Mehr und mehr steigt die Bereitschaft zur Flexibilität bei Arbeitszeiten und Arbeit im Home Office; letzteres erhält nun durch die aktuelle COVID-19 Situation zweifellos Vorschub, da sich Kanzleien konkret davon überzeugen konnten, dass auch aus dem Home Office gut gearbeitet werden kann.
War die Tätigkeit in der Großkanzlei schon zu Beginn Ihrer juristischen Laufbahn Ihr Ziel?
Nein, keineswegs. Ursprünglich entschied ich mich für ein Jura-Studium, weil mich eine Tätigkeit im diplomatischen Dienst interessierte – ein Flair für ein internationales Umfeld war somit von Anfang an vorhanden. Erst nach dem Studienabschluss und diversen Praktika beim Gericht und in kleineren Kanzleien merkte ich, dass mir sowohl die Anwaltstätigkeit wie auch insbesondere das Wirtschaftsrecht am meisten zusagten. Dies führte zur Bewerbung in einer Grosskanzlei; mittlerweile bin ich seit 18 Jahren bei CMS von Erlach Poncet tätig!
Welche Juristin hat Sie derart inspiriert, dass sie bei breaking.through porträtiert werden sollte und wieso?
Eveline Saupper: Beim Berufseinstieg vor 18 Jahren war Eveline Saupper die Chefin meines Ehemannes bei Homburger. Ich habe über meinen Mann viel Gutes von ihr gehört und es hat mir imponiert, dass sie es als Frau in die Partner-Liga von Homburger geschafft hat. Ich bin immer noch in Kontakt mit ihr und habe auch ihre spannende Laufbahn von der Partnerin zur Profiverwaltungsrätin verfolgt.
Susanne Schreiber: Sie ist eine hervorragende Steuerrechtlerin und es hat mich beeindruckt, wie sie sich in ihrer Kanzlei (Bär & Karrer) behauptet.
Herzlichen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!
Zürich, 22. Juni 2020. Dr. Schnyder hat das Interview schriftlich beantwortet. Die Fragen stellte Dr. Nadja Harraschain.
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