
Sandra Gasser-Habermacher, LL.M. im Porträt
„Compliance ist dann stark, wenn sie nicht Pflicht, sondern Teil der Unternehmens-DNA ist.“
Frau Gasser-Habermacher, LL.M., Head Compliance Switzerland bei Partners Group AG, über ihren Karriereweg hin zur Compliance, die Unterschiede zum Anwaltsberuf, die Präsenz verschiedener Geschlechter in ihrem beruflichen Umfeld und die bestehenden Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Karriere.
Frau Gasser-Habermacher, Sie sind Head Compliance Switzerland bei der Partners Group und waren bereits davor mehrere Jahre in diesem Bereich tätig. Hatten Sie von Anfang an den Wunsch, in Compliance zu arbeiten?
Definitiv nicht. Mein erster Berufswunsch war es, Astronautin zu werden (lacht). Später wollte ich Ärztin werden und habe tatsächlich einige Jahre Medizin studiert, bis ich durch eine zufällige Begegnung die Juristerei entdeckte. Der Bereich hatte eine grosse Sogwirkung auf mich und bewog mich schliesslich zum kompletten Richtungswechsel, den ich nie bereut habe.
Als ich Jus studiert habe, wurden Bereiche wie ‘Finanzmarktrecht’ oder ‘Regulatory Compliance’ im Studium kaum thematisiert. Mich interessierte das internationale Recht und der diplomatische Dienst. Als nach Studienabschluss ein Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Europarecht nicht zustande kam, musste ich mich neu orientieren – manchmal sind es diese ungeplanten Wendungen, die neue Perspektiven eröffnen.
Da mir das Wirtschaftsrecht schon immer lag, absolvierte ich ein Anwaltspraktikum in einer Wirtschaftskanzlei in Zürich. Später, während meiner Anwaltstätigkeit, habe ich verschiedene Finanzinstitute bei der Umsetzung neuer Regulierungen beraten. Dort hatte ich erstmals auch mit Compliance-Verantwortlichen zu tun. Besonders meine spätere Beratungstätigkeit bei der KPMG öffnete mir die Augen für dieses spannende Feld. Dass ich aber einmal bei einem der grössten international tätigen Schweizer Asset Manager für Privatmarktanlagen landen werde, hätte ich nicht gedacht.
Sie haben zu Beginn Ihrer Karriere als Rechtsanwältin im Bereich Finanzen für zwei grosse Wirtschaftskanzleien gearbeitet. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen dem Anwaltsberuf und Ihrer jetzigen Tätigkeit für Partners Group, einem der weltweit führenden Investment Manager?
Für mich liegt der Hauptunterschied in der Verantwortung und in der Perspektive. Als Anwältin bei Pestalozzi und Bär & Karrer habe ich verschiedene Finanzinstitute im Bereich Finanzmarktrecht beraten und mich auf den Bereich Asset Management spezialisiert. Oftmals ging es darum, die Kunden in Bezug auf eine bestimmte Rechtsfrage zu beraten. Obwohl ich auch langjährige Kunden hatte, stand ich als externe Beraterin stets ausserhalb des Instituts. Meine Arbeit endete oft genau dort, wo es für mich am spannendsten wurde: bei der Implementierung.
Bei der Partners Group trage ich mit meinem Team die Verantwortung dafür, dass wir die Voraussetzungen für unsere Lizenz erfüllen – nicht nur auf dem Papier, sondern in der täglichen Praxis. Ich kann also nicht einfach ein Memorandum abliefern, sondern bin direkt in die Umsetzung involviert. Ich arbeite mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen an der gemeinsamen Entwicklung tragfähiger Lösungen, die dann vom Business umgesetzt werden. Dafür muss ich über die rein juristische Betrachtungsweise hinausgehen. Diese ganzheitliche Perspektive und das Gefühl, unmittelbar etwas zu bewirken – das hat mir in der klassischen Beratertätigkeit gefehlt.
Nach ein paar Jahren Berufstätigkeit haben Sie sich dazu entschieden, einen LL.M. zu absolvieren. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie darin, diesen nach einigen Jahren Berufstätigkeit anzugehen?
Der grösste Vorteil liegt in der gezielten Spezialisierung. Ich wusste, welche Themen ich weiter vertiefen und ausbauen wollte. So konnte ich den LL.M. gezielt als Karriere-Katalysator im Finanzmarktrecht einsetzen. Die Praxiserfahrung veränderte auch fundamental, wie ich das Studium erlebte. Rechtliche Konzepte waren keine abstrakten Theorien mehr, sondern Lösungen für reale Fragestellungen, denen ich bereits begegnet war. In akademischen Diskussionen konnte ich plötzlich viel tiefere Einsichten einbringen als noch während meines Erststudiums.
Natürlich gibt es auch Herausforderungen: Man unterbricht seinen Karriereweg – gerade in einer Phase, wo Kolleginnen und Kollegen wichtige Schritte machen oder eine Familie gründen. Zudem spielen finanzielle Überlegungen eine grössere Rolle als direkt nach dem Studium.
Interessanterweise fühlte ich mich durch meine berufliche Spezialisierung auch weniger frei in der Wahl des Studienortes. Während ich als frische Absolventin vielleicht offener für Universitäten in Asien, Australien oder anderen aufstrebenden Märkten gewesen wäre, konzentrierte ich mich später stark auf etablierte Finanzzentren wie London und New York.
Nachdem Sie viele Jahre als Anwältin Erfahrungen gesammelt hatten, waren Sie lange bei KPMG tätig, zuletzt als Senior Manager in der Abteilung Regulatory & Compliance. Was hat Sie ursprünglich dazu motiviert, zu einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu wechseln?
Meine Entscheidung, nach mehreren Jahren anwaltlicher Tätigkeit zu KPMG zu wechseln, war von mehreren beruflichen Überlegungen geprägt. Die Schnittstelle zwischen Recht und Wirtschaft faszinierte mich schon immer, und ich sah in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die ideale Plattform, um diese beiden Welten zu verbinden.
Was mich besonders an KPMG reizte, war die Möglichkeit, mein juristisches Know-how in einem breiteren wirtschaftlichen Kontext einzubringen. Im Bereich Regulatory & Compliance konnte ich meine rechtliche Expertise mit strategischen Unternehmensberatungsaspekten kombinieren und so einen umfassenderen Mehrwert für Klienten schaffen.
Zudem bot mir die internationale Ausrichtung einer Big 4 die Chance, an komplexen, grenzüberschreitenden Projekten zu arbeiten und mein Kompetenzspektrum deutlich zu erweitern. Die dynamische Arbeitsumgebung mit interdisziplinären Teams war ein weiterer Anreiz für diesen Karriereschritt.
Das billable-Modell ist Ihnen aus Ihrer Anwaltstätigkeit bestens bekannt. Wird das bei Partners Group ähnlich gehandhabt?
Bei Partners Group kennen wir kein billable-Modell. Wir müssen also keine Stunden erfassen. Zum ersten Mal in meiner Karriere werde ich nicht mehr daran gemessen, wie viele Stunden ich verrechnen kann, sondern welchen tatsächlichen Wertbeitrag ich für das Unternehmen leiste. Für mich war das eine Befreiung.
In meiner Compliance-Verantwortung kann ich nun langfristiger denken und agieren. Ich habe die Freiheit, meine Expertise dort einzusetzen, wo sie am dringendsten benötigt wird, ohne dabei Überlegungen zur Verrechenbarkeit anstellen zu müssen. Dies ermöglicht ein proaktiveres Arbeiten und eine tiefere Integration in die Geschäftsprozesse.
Was ich besonders schätze: Als interne Expertin bin ich vollständig auf den Erfolg des Unternehmens ausgerichtet, ohne den inhärenten Interessenkonflikt zwischen Beratungseffizienz und fakturierbaren Stunden. Dies führt zu einer direkteren und wirkungsvolleren Arbeitsweise.
Wie ist die Arbeitszeitstruktur in Ihrem Team: Ist bei Partners Group eine Teilzeitbeschäftigung möglich und gibt es viele Mitarbeiter:innen, die in Teilzeit arbeiten?
In den letzten Jahren hat sich in der Finanzbranche ein deutlicher Wandel vollzogen, der vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Auch bei der Partners Group beobachten wir eine Evolution in der Arbeitszeitgestaltung. Aber ganz ehrlich: Teilzeitmodelle sind zwar möglich, jedoch arbeitet die Mehrheit unserer Mitarbeiter:innen nach wie vor Vollzeit.
Nach der Geburt unseres ersten Kindes bin ich mit einem 80%-Pensum in die Berufswelt zurückgekehrt, damals noch bei der KPMG. Diese Flexibilität war für mich nicht verhandelbar und eine Grundvoraussetzung, um mich auf Gespräche über einen möglichen Wechsel mit der Partners Group einzulassen. Mit dem Kindergarteneintritt unseres Jüngsten habe ich mein Pensum auf 90% erhöht.
Sie übernehmen als Head of Compliance eine Führungsposition. Welche Eigenschaften sind hierfür wichtig und inwiefern haben Sie diese erlernen können?
Als Head of Compliance in einem Finanzinstitut trägt man eine zentrale Verantwortung: Die Organisation muss nicht nur die aufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllen, sondern eine echte Compliance-Kultur entwickeln, die alle Ebenen durchdringt. Mit anderen Worten, Compliance ist dann stark, wenn sie Teil der Unternehmens-DNA ist – nicht Pflicht, sondern strategischer Kompass für nachhaltiges Handeln. Die ideale Compliance-Kultur ist demnach eine, in der regulatorische Grenzen nicht von aussen auferlegt werden müssen, sondern in der Geschäftsentscheidungen intrinsisch von Compliance-Bewusstsein geprägt sind. Diese Kultur zu formen und zu fördern – darin sehe ich die eigentliche Führungsaufgabe eines Head of Compliance.
Widerstandskraft ist dabei eine entscheidende Eigenschaft. Ich habe gelernt, dass Resilienz nicht angeboren, sondern formbar ist. Jede berufliche und private Herausforderung hat das Potential, die Fähigkeit zu stärken, auch bei Gegenwind für Compliance-Grundsätze einzustehen. Diese innere Stärke wächst mit jeder gemeisterten Situation.
Fachliche Souveränität bildet das Fundament einer Führungsrolle in Compliance. Als Kontrollfunktion muss ich klare Positionen vertreten können – auch wenn diese unbequem sind. Dafür ist ein fundiertes Geschäftsverständnis unverzichtbar. Compliance darf nicht im regulatorischen Vakuum operieren, denn theoretische Lösungen ohne Praxisbezug werden im Unternehmen nicht akzeptiert.
Eine weitere wichtige Eigenschaft ist die Vernetzungskompetenz. Die Fähigkeit, über alle Hierarchieebenen hinweg Beziehungen aufzubauen entscheidet darüber, ob eine Compliance-Führung effektiv ist. Es ist entscheidend, dass ein Compliance Officer von den Mitarbeitern als vertrauenswürdige Persönlichkeit wahrgenommen wird, die nicht nur Grenzen aufzeigt, sondern Lösungswege eröffnet. Zentral ist dabei auch, dass man zuhören kann und Fragen stellt. Nur so kann man die Eigenheiten einer Organisation erfassen und erkennen, wo Risiken liegen.
Bei Partners Group schätze ich besonders die Gestaltungsfreiheit, die Compliance-Funktion strategisch auszurichten. Es ist eine der zentralen Herausforderungen, im Unternehmen die richtige Balance zwischen Geschäftsambitionen, Risikobewusstsein und regulatorischen Rahmenbedingungen zu erreichen. Als Compliance Funktion wollen wir nah beim Business sein und unternehmerisch denken. Das sagt mir zu, auch wenn ich nicht die klassische Unternehmerin bin. Sonst wäre ich wohl in einer anderen Position tätig oder selbstständig (lacht).
Bei all dem hilft mir meine Neugierde und das Streben danach, mich ständig weiterzuentwickeln. Ich möchte unser Geschäft verstehen und interessiere mich grundsätzlich für alle Einzelheiten unserer Tätigkeit. Diese Neugierde ist gewiss angeboren, man kann sie aber auch gezielt kultivieren, zum Beispiel indem man den Austausch mit Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen sucht und sich erklären lässt, was sie tun und weshalb sie etwas tun.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag in Ihrer Position aus?
Grundsätzlich ist kein Tag wie der andere. Ein typischer Arbeitstag beginnt mit dem Konsumieren wichtiger Nachrichten und regulatorischer Updates. Etwa die Hälfte meiner Zeit verbringe ich in Meetings – deutlich mehr als früher in der Beratung. Diese Abstimmungen finden mit verschiedenen Geschäftsbereichen statt und natürlich mit dem rund 12-köpfigen Compliance Support Team in Manila, das einen Grossteil der Compliance-Checks durchführt. Darüber hinaus stehe ich in regelmässigem Austausch mit der externen Prüfstelle und den Aufsichtsbehörden.
Zwischen den Meetings bleibt Zeit für operative Aufgaben, wie zum Beispiel das Schreiben von Compliance Reports. Die ruhigeren Abendstunden – wenn unsere Kinder schlafen – nutze ich oft für vertiefte Analysen. Diese Flexibilität ermöglicht es mir, Beruf und Familie zu vereinbaren – jedenfalls meistens (lacht).
Was würden Sie sagen waren prägende Einflüsse, die Ihren beruflichen Weg bestimmt haben?
Wenn ich auf meinen beruflichen Werdegang zurückblicke, waren es interessanterweise nicht die sorgfältig geplanten Karriereschritte, die mich am stärksten geprägt haben, sondern vielmehr die unerwarteten Wendungen und Herausforderungen.
Die wirklich formativen Momente meiner Laufbahn entstanden immer dann, wenn etwas nicht nach Plan lief. Diese Situationen, in denen ich plötzlich vor völlig neuen Aufgaben stand, für die ich mich zunächst nicht ausreichend vorbereitet fühlte, haben mich am nachhaltigsten geprägt. Es waren die Momente, in denen ich sprichwörtlich ins kalte Wasser geworfen wurde und schnell lernen musste zu schwimmen.
Ich erinnere mich an Projekte, die unerwartet in meinen Verantwortungsbereich fielen, an Teams, die ich früher als gedacht führen durfte, und an komplexe Herausforderungen, für die es kein Handbuch gab. Diese Situationen haben mich gezwungen, über mich hinauszuwachsen und Fähigkeiten zu entwickeln, die ich sonst vielleicht nie entdeckt hätte.
Das Unplanbare hat mich gelehrt, flexibel zu bleiben und Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu sehen. Oft können wir mehr, als wir uns selbst zutrauen – das trifft im Besonderen auf Frauen zu. Diese Erfahrung hat mein Selbstvertrauen gestärkt und mich gelehrt, dass echtes Wachstum oft ausserhalb der Komfortzone stattfindet.
Heute, in meiner Führungsrolle, versuche ich, diese Erkenntnis weiterzugeben. Ich ermutige mein Team, sich neuen Herausforderungen zu stellen, und schaffe bewusst Raum für das Unerwartete – denn ich weiss, dass genau dort die wertvollsten Lernmomente entstehen können.
Sie sind Mutter von zwei Söhnen. Wie gelingt es Ihnen, Ihre Verpflichtungen als Elternteil und Ihre Arbeit erfolgreich zu vereinbaren?
Als Mutter von zwei Söhnen im Kindergarten- und Primarschulalter und Führungskraft erlebe ich täglich, wie herausfordernd die Balance zwischen Familienleben und beruflicher Verantwortung sein kann. Was mir dabei hilft, ist vor allem ein starkes Fundament an Unterstützung.
Die gleichberechtigte Partnerschaft mit meinem Mann ist dabei zentral. Wir teilen uns die Care-Arbeit und elterliche Verantwortung zu gleichen Teilen auf – eine bewusste Entscheidung, die es mir ermöglicht, meine berufliche Rolle auszufüllen. In meiner Position trage ich Verantwortung für ein Team und wichtige Unternehmensprozesse, was ohne diese partnerschaftliche Aufteilung zu Hause kaum machbar wäre.
Natürlich ist es manchmal ein Balanceakt und natürlich läuft nicht immer alles nach Plan. Wenn ein Kind plötzlich krank wird, braucht es Flexibilität und schnelle Lösungen. Hier ist ein Unterstützungsnetzwerk aus Grosseltern und verständnisvollen Kolleginnen und Kollegen unbezahlbar.
Als Führungskraft versuche ich auch, eine Kultur der Flexibilität vorzuleben. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie wertvoll es ist, wenn Arbeitgeber die Realitäten von Familien anerkennen und unterstützen. Das wird von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Regel sehr geschätzt, die sich dann regelmässig auch umso mehr einsetzen, was dem Arbeitgeber zugutekommt.
Die Doppelrolle als Mutter und Führungskraft erfüllt mich, auch wenn sie manchmal an meine Grenzen führt. Ich bin überzeugt: Mit dem richtigen Support und gegenseitigem Verständnis müssen Frauen weder bei der Familie noch im Beruf Abstriche machen. Diese Doppelrolle fordert mich heraus, bereichert aber beide Lebensbereiche ungemein. Ich schätze mich glücklich, einen Beruf zu haben, der mich erfüllt, und gleichzeitig die Rolle als Mutter, die mir alles bedeutet.
Die Partners Group ist im IT-Bereich sehr innovationsfreudig. Inwiefern beeinflusst dies die verschiedenen Teams unternehmensintern?
Die Innovationsfreudigkeit der Partners Group im IT-Bereich beeinflusst unsere Teams auf mehreren Ebenen. Es ist ein Privileg, über die nötigen Mittel und Ressourcen zu verfügen, um gezielt in zukunftsweisende IT-Lösungen zu investieren. Diese strategischen Investitionen steigern nicht nur die Effizienz unserer Teams, sondern sichern auch langfristig unsere Wettbewerbsfähigkeit.
Ein konkretes Beispiel ist unsere frühzeitige Implementierung einer eigenen KI-Lösung – ähnlich wie ChatGPT –, deren Nutzung auch vom Verwaltungsrat aktiv gefördert wird. Durch diesen frühen Einstieg können unsere Teams die Technologie nicht nur nutzen, sondern aktiv mitgestalten und wertvolle Rückmeldungen an die Entwickler geben. Wir sind sozusagen auf dem fahrenden Zug der KI-Revolution mit dabei und gestalten die Richtung mit.
Diese interne Innovationskultur spiegelt sich auch in unserer Investmentstrategie wider. Lange bevor ChatGPT zum Mainstream wurde, hat Partners Group das Potenzial von Rechenzentren und Cloud-Computing erkannt. Heute nutzen wir KI nicht nur intern, sondern auch zur Optimierung unserer Investments in diesem Bereich – von der Effizienzsteigerung operativer Anlagen bis hin zum Supply-Chain-Management.
Diese bewusst frühe Investition in neue Technologien schafft eine Unternehmenskultur, in der Teams abteilungsübergreifend von Innovationen profitieren und gleichzeitig zur Weiterentwicklung beitragen können.
Wie schätzen Sie basierend auf Ihrer Erfahrung den aktuellen Stand der Geschlechtergleichberechtigung im Investment Management ein, insbesondere in Bezug auf Gehaltsunterschiede, Aufstiegschancen und die Repräsentation von Frauen in Führungspositionen?
Die Frage nach der Geschlechtergleichberechtigung im Investment Management ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern zunehmend auch eine strategische Notwendigkeit für zukunftsorientierte Unternehmen. Basierend auf meinen Erfahrungen bei Partners Group sehe ich ein differenziertes Bild: In meinem täglichen Arbeitsumfeld erlebe ich eine bemerkenswerte Präsenz von Frauen auf verschiedenen Ebenen. Doch wie in einer Pyramide wird diese Präsenz nach oben hin dünner. Während unser Verwaltungsrat erfreulicherweise einen nahezu ausgeglichenen Frauenanteil aufweist, nimmt dieser in den operativen Führungsteams deutlich ab. Auf der Basisebene sind Frauen hervorragend repräsentiert – eine Stärke, die in der traditionell männlich dominierten Finanzbranche nicht selbstverständlich ist.
Was die Vergütungsstruktur betrifft, kann ich mit Überzeugung sagen, dass Partners Group ein hohes Mass an Transparenz und Gleichbehandlung praktiziert. Die Kompensationssysteme folgen klar definierten Richtlinien, die geschlechtsneutral konzipiert sind. Dieses System geniesst mein volles Vertrauen.
Dennoch müssen wir die strukturellen Realitäten anerkennen: Karriereunterbrechungen wie Mutterschaftsurlaub können das berufliche Fortkommen verlangsamen. Hier liegt eine besondere Verantwortung bei männlichen Führungskräften, talentierte Frauen gezielt zu fördern, in ihre Fähigkeiten zu vertrauen und ihnen bedeutsame Verantwortungsbereiche zu übertragen.
Ich finde es wichtig, andere Frauen aktiv zu unterstützen. Trotz zahlreicher Initiativen und Netzwerke bestehen weiterhin strukturelle Hürden, die überwunden werden müssen. Gleichzeitig verfolge ich eine Vision, in der das Geschlecht bei Besetzungsentscheidungen für Führungspositionen schlichtweg irrelevant wird.
Partners Group hat in Sachen Diversität bereits Fortschritte erzielt. Dies ist nicht nur eine Frage der sozialen Verantwortung, sondern auch eine zukunftsweisende Geschäftsstrategie: Die Investorenlandschaft wandelt sich, und Investorinnen und Investoren werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Unternehmen, die diese Entwicklung in ihrer eigenen Führungsstruktur vorwegnehmen, werden besser positioniert sein, um die Bedürfnisse und Perspektiven dieser wachsenden Anlegergruppe zu verstehen.
Die wahre Herausforderung liegt nicht nur in der Erhöhung von Zahlen und Quoten, sondern in der Schaffung einer Unternehmenskultur, die unterschiedliche Führungsstile wertschätzt und in der Diversität als Innovationstreiber erkannt wird.
Was würden Sie jungen Juristinnen und Juristen raten, die in Ihrem Berufsfeld tätig sein möchten? Welche Qualitäten und Fähigkeiten sollten sie mitbringen?
Mein Rat an junge Juristinnen und Juristen mit Interesse am Compliance-Bereich ist: Entwickeln Sie mehr als nur Rechtswissen – verstehen Sie das Geschäft von innen heraus. Treffen Sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichen Teams und stellen Sie Fragen. Und suchen Sie aktiv Möglichkeiten, um ausserhalb der Komfortzone Erfahrungen zu machen. Dazu zählen auch Rückschläge. Wichtig ist, dass wir uns die Bereitschaft erhalten, lebenslang zu lernen und uns von Veränderungen nicht abschrecken zu lassen. Oft passiert genau in diesem Bereich das grösste Wachstum.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Ich möchte Nora Zinsi-Guntli nominieren. Sie ist eine ehemalige Studienkollegin aus dem LLM-Programm am King’s College in London. Für mich verkörpert sie authentisches Female Leadership. Ihre inspirierende Persönlichkeit, gepaart mit ansteckender Energie und Freude, macht sie nicht nur zu einer beeindruckenden Führungskraft, sondern auch zu einer wertvollen Sparringspartnerin für mich. Zudem ist sie Mutter von zwei Töchtern. Heute arbeitet sie als Head of Legal Switzerland bei DHL.
Herzlichen Dank für das spannende Interview!
Zug, November 2024. Das Interview führten Florence Jaeger, LL.M. und Anna Marti.
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