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Tanja Luginbühl

Tanja Luginbühl, LL.M. im Porträt

 

"Man darf sich was zutrauen!"

 

Tanja Luginbühl, LL.M., Partnerin bei Lenz & Staehelin, über die Gründung neuer Fachgruppen, den Mut für seine Positionen einzustehen und den Bedarf nach Flexibilität bei der Vereinbarkeit von Karriere und Familie.

Frau Luginbühl, Sie haben sich nach einer fachlich wie Sie beschreiben „breiten“ Ausrichtung am Anfang Ihrer Karriere nunmehr auf die Beratung zu Restrukturierungen und Insolvenzen spezialisiert. Wie kamen Sie zu diesen Fachbereichen?

 

Letztlich war es Zufall, im Unterschied zu heutigen Universitätsabsolventen, die bereits früh planen, welche Fachbereiche sie später belegen möchten. Bei mir war damals das Grounding der Swissair ein massgeblicher Auslöser, mich auf diesen Bereich auszurichten. Wir haben viele Klienten im Bereich des Flugzeug-Leasings beraten, die auf uns zukamen, weil ihre Luftfahrzeuge am Boden standen. Das war eine hektische Zeit. Ich selbst habe damals viel Spezialwissen aufgebaut. In der Diskussion mit der Partnerschaft habe ich darauf hingewiesen, dass es kommerziell sinnvoll wäre, dieses aufgebaute Know-how auszubauen. Es wurde dann entschieden, diesen Fachbereich in einer eigenständigen Fachgruppe weiter zu entwickeln. Über die Jahre hinweg haben wir dieses Fachgebiet weiter ausgebaut und konnten zahlreiche neue komplexe Mandate dazugewinnen.

Die Beratung im Kontext der Restrukturierung und Insolvenz lässt sich in verschiedene Bereiche unterteilen: Zum einen die Gläubiger-Vertretung. Zum anderen kann sich die Beratung auf Gesellschaften in finanziellen Schwierigkeiten beziehen, etwa bei einer Restrukturierung, bei einer gerichtlichen Nachlassstundung oder ‒ wenn eine Sanierung aussichtslos ist ‒ bei der Anmeldung eines Konkurses. Schliesslich gibt es viele weitere Bereiche, in denen wir insolvenzrechtlich beraten, etwa bezüglich der Frage, ob die im Rahmen einer Finanzierung gewährten Sicherheiten konkursfest sind und wie man Sicherheiten im Krisenszenario vollstrecken kann.

Sie haben bei Lenz & Staehelin die Fachgruppe für Restrukturierung und Insolvenz aufgebaut. Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen?

Wir treffen uns im Team in regelmässigen Abständen zu Arbeitslunches. Dazu gehören nicht nur Mitarbeiter meines eigenen Teams, sondern auch Mitarbeiter und Partner aus anderen Rechtsgebieten. Bei jeder Restrukturierung sind auch steuerliche, prozessrechtliche, mietrechtliche und arbeitsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Während diesen Treffen werden praktische Erfahrungen ausgetauscht, Fälle besprochen und neue Themengebiete und Entwicklungen vorgestellt.

Mein Fokus ist auf Insolvenzen und Restrukturierungen ausgerichtet. Für eine ausschliesslich insolvenzrechtliche Ausrichtung ist der Markt in der Schweiz für Grossmandate dagegen zu volatil, man braucht ein weiteres, fachliches Standbein. Früher reichte es aus, wenn man als Generalist auch insolvenzrechtliche Themen bearbeitete. Heute ist die Spezialisierung weit fortgeschritten und wir haben mit der konsequenten Ausrichtung eines Teams auf Restrukturierung und Insolvenz frühzeitig begonnen, unsere Kompetenz auszubauen und gehören heute in diesem Bereich zu den führenden Anbietern. Die Zeichen mehren sich wieder für die nächste Wirtschaftskrise.

Sie sind seit Ihrem Berufseinstieg als Anwältin mit Unterbrechung durch den LL.M. bei Lenz & Staehelin geblieben. Was war für Sie wichtig bei der Entscheidung über Ihren Arbeitgeber als junge Anwältin?

Vor Lenz & Staehelin arbeitete ich am Gericht. Danach wollte ich einen Einblick in die Anwaltstätigkeit kriegen – meine Zeit als Substitutin bei Lenz & Staehelin hat mich in der Entscheidung für diesen Beruf bestätigt. Ausschlaggebend waren für mich das professionelle Umfeld und die Qualität der Arbeit, der respektvolle Umgangston und eine menschliche Atmosphäre. Ich wurde gefördert, durfte an interessanten Mandaten arbeiten und man hat mir etwas zugetraut, manchmal mehr als ich mir selbst (lacht). Das alles hat mir viel Selbstvertrauen gegeben und ich hatte einen äusserst guten Mentor.

Damals schon und auch heute werden unsere Anwälte und Substituten einem Partner und dessen Team organisatorisch zugeordnet. Das heisst nicht, dass man exklusiv für diesen einen Partner arbeitet. Aber man hat einen festen Ansprechpartner, der sich verantwortlich fühlt, auf einen schaut und gegebenenfalls an die Hand nimmt. Das beugt auch dem internen Konkurrenzdruck vor, an die „guten“ Mandate zu kommen.

Mittlerweile wechseln junge Anwälte häufiger ihren Arbeitsplatz im Laufe ihrer Karriere, unter anderem auch häufig von Wirtschafts- zu kleineren Kanzleien. Was denken Sie müssen Wirtschaftskanzleien tun, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben?

Ob sich jemand für eine grosse Wirtschaftskanzlei oder eine kleine Kanzlei interessiert, ist meines Erachtens typenabhängig. Da kann eine Grosskanzlei nur beschränkt dazu beitragen, dass sich jemand anders entscheidet.

Für eine Grosskanzlei sprechen die internationalen Mandate, das gepoolte Know-how und die immensen Erfahrungen, die man im professionellen Umfeld sammeln kann. Dazu zählen auch der qualitativ hochstehende Support in Bereichen wie Infrastruktur, IT und Know-how.

Wo die Grosskanzleien sicher noch zulegen können, ist in Sachen Flexibilität. Aber da bin ich überzeugt, dass aktuell ein Wandel und damit einhergehend eine Lockerung stattfindet. Themen wie Homeoffice und flexible Arbeitszeiten sind allgegenwärtig. Das sind nicht mehr die starren Regeln, die in der Vergangenheit gegolten haben.

Sie wurden 2005 als eine der ersten Anwältinnen zur Partnerin ernannt bei Lenz & Staehelin. Gab es für Sie Herausforderungen und/oder prägende Erlebnisse als die damals einzige weibliche Partnerin in Zürich?

Natürlich ist es speziell, die einzige Frau unter lauter Männern zu sein (lacht) – die ticken eben nicht in allen Themen gleich. Aber wir hatten damals und auch heute ein so professionelles Umfeld, dass es eigentlich nicht relevant ist, ob jemand ein Mann oder eine Frau ist. Ich wurde damals im Kreis der Partner sehr herzlich aufgenommen, nie irgendwie anders behandelt, im Gegenteil, man hat sich gefreut, dass eine Frau in der Partnerschaft war.

In meiner Wahrnehmung bewegt sich eine reine Männerrunde schon etwas anders, als wenn eine Frau anwesend ist. Aber dadurch, dass das Umfeld bei uns sehr professionell ist und ein respektvoller Umgang gepflegt wird, wurde ich nie anders behandelt. Eine Aufnahme in die Partnerschaft erfolgt nach Jahren der gemeinsamen Zusammenarbeit und insofern kennt man sich schon sehr gut.

Was denken Sie muss man mitbringen, um in einer solchen Situation zu bestehen?

Man muss ein gewisses Durchsetzungsvermögen mitbringen und den Mut haben, Positionen zu beziehen und diese auch sachlich zu verteidigen. Hierfür benötigt man eine etwas dickere Haut. Dies hat aber nichts mit dem unterschiedlichen Geschlecht zu tun, sondern ist eine Frage der Gruppendynamik. Wenn man durchdringen möchte mit etwas, das einem wichtig ist, muss man auch mit Kritik umgehen können und den Mut haben, seine Position zu vertreten, sie zu erklären und zu begründen. Man sollte offen für neue Ansichten sein.

Der Weg zur Partnerschaft in einer Wirtschaftskanzlei ist lang und anspruchsvoll. Was würden Sie jungen Juristinnen und Juristen raten, die sich dieser Herausforderung stellen möchten?

Sie sollten Eigeninitiative entwickeln, Interesse zeigen und dies aktiv bekunden. Wenn sich jemand für ein Thema interessiert und das zum Ausdruck bringt, wird er wahrgenommen: es geht um Initiative, Engagement, sich mit Ideen einzubringen. Man muss sich selber ein Profil geben.

Zudem sollten sich junge Frauen frühzeitig vernetzen. Das ist nicht unbedingt eine Spezialität von Frauen. Bei der jüngeren Generation ist dieses Erfordernis inzwischen gut angekommen.

Was muss man hierfür konkret erbringen?

Leistungsbereitschaft, qualitativ gute Arbeit und in gewissem Sinne auch eine grosse Portion Durchhaltevermögen. Ganz wichtig ist das Interesse an der Arbeit. Ich stelle häufig fest, bei Männern wie Frauen, dass man spürt, ob jemand das Feuer hat und für den Beruf brennt, und ob jemand sich einsetzt und eine Extrameile geht, wenn es nötig ist. Diese Leistungsbereitschaft entsteht durch das Interesse an der Sache auf natürliche Weise.

Auf welche Eigenschaften achten Sie dann bei der Auswahl der Anwältinnen und Anwälte für Ihr Team?

Ich schaue neben den fachlichen Qualifikationen auf die Sozialkompetenz: Umgang mit dem Gegenüber, Charakter und Integrität sowie eine gesunde Portion Selbstbewusstsein sind wichtig, wobei letzteres in der Tat mehr ein „Frauenthema“ ist. Ich bin überzeugt, dass es viele hervorragend qualifizierte junge Anwältinnen gibt, sie verkaufen sich nur nicht immer so gut. Das habe ich auch bei mir selbst erlebt. Frauen haben sehr hohe Anforderungen an sich selbst und sind dadurch kritisch und zurückhaltend. Dies bemerkt man auf der Gegenseite und deutet es zu Unrecht als Unsicherheit. Man darf sich was zutrauen!

Sie haben eine Tochter, die Sie nach der Ernennung zur Partnerin bekommen haben. Würden Sie sagen, dass die Vereinbarkeitsfrage einfacher zu lösen ist, wenn bereits diese Karrierestufe erreicht ist?

Aus meiner persönlichen Sicht ja. Ich glaube aber, das kann man nicht allgemein beantworten. Mit dem Erreichen einer bestimmten Karrierestufe ist die Flexibilität grösser und die finanziellen Möglichkeiten sind besser. Im Gegensatz zu einer reinen „Krippenlösung“ bietet eine Nanny viel mehr Flexibilität. Wird das Kind in der Krippe betreut, kann ich es im Krankheitsfall nicht bringen. Ich muss nach alternativen Betreuungslösungen suchen oder stehe bei der Arbeit nicht zur Verfügung. Eine Krippe schliesst um halb sieben, eine Nanny bleibt länger. Aber letztlich gibt es keine ideale Lösung. Diese muss den Familienumständen entsprechend individuell ausgerichtet sein.

Ich persönlich wäre am Anfang meiner beruflichen Laufbahn nicht reif genug gewesen, die beruflichen Herausforderungen mit der Familienverantwortung zu kombinieren und das unter einen Hut zu kriegen. Ich war 37 als ich meine Tochter bekam und das war perfekt, auch wenn ich mir heute manchmal wünschte‚ zehn Jahre jünger zu sein –  aber alles kann man nicht haben.

Was war für Sie als Eltern am wichtigsten, um Berufstätigkeit und die Betreuung Ihrer Tochter zu vereinen?

Dass stets eine Bezugsperson für unsere Tochter da war. Wir haben uns bewusst so organisiert, dass wir in einem kleinen konstanten Kreis von Bezugspersonen immer für unsere Tochter da waren. Wir Eltern, unsere Nanny ‒ welche uns zum Glück mehr als zehn Jahre erhalten blieb ‒ und die Grosseltern.

Mein Mann, der ebenfalls Anwalt ist, war in seiner Karriere auch so weit, dass er Partner war. Er hat deshalb die notwendige Flexibilität, so dass einer von uns immer zum Abendessen anwesend und ansprechbar ist. Es ist zugegebenermassen mit viel Organisation verbunden und ein fester Kreis von Bezugspersonen ist dabei sehr hilfreich.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Ihnen aus?

Einen typischen Arbeitsalltag gibt es in unserem Beruf nicht. Wenn ich frühmorgens keine Sitzungen oder Termine habe, sehe ich meine Tochter noch, dann frühstücken wir gemeinsam. Kaum bin ich dann im Büro, wird der ursprüngliche Tagesplan ein ganz anderer, weil ad hoc Anfragen kommen und ich den Tagesablauf nach den Prioritäten richten muss. Wenn die Mandatsarbeit dies zulässt, gehe ich rechtzeitig nach Hause, um mit meiner Tochter Abendbrot essen zu können und bei Bedarf bei den Hausaufgaben zu helfen. Wenn sie im Bett ist, arbeite ich weiter, soweit es erforderlich ist. Ich besuche viele Veranstaltungen abends oder mittags, so dass sich der Zeitplan nicht immer ideal realisieren lässt.

In den letzten Jahren kamen vor allem in Boutique Kanzleien zunehmend Veränderungen durch flexiblere Arbeitszeitmodelle und Remote-Arbeiten statt Präsenzzeiten. Wo sehen Sie das grösste Entwicklungspotential für die Wirtschaftskanzleien hinsichtlich der Art und Weise, wie wir Anwältinnen und Anwälte arbeiten?

Wirtschaftskanzleien müssen sich da tatsächlich noch weiter entwickeln. Die Zunahme an Flexibilität ist ein Thema, die konkrete Ausgestaltung kann dabei sehr unterschiedlich sein. Auf der anderen Seite kann es nicht das Ziel sein, dass alle vollständig von zu Hause arbeiten. Wir arbeiten häufig im Team und da bedeutet Präsenz eben nicht nur, dass man einfach da ist, sondern dass man auf Transaktionen zusammenarbeiten kann. Dass jeder geht und kommt, wann es ihm passt, sehe ich in unserer Berufsgattung nicht.

Teilzeitmodelle schliessen wir nicht aus. Es ist tatsächlich so, dass wir zurzeit nur Frauen haben, die in Teilzeit arbeiten. Wir sind noch nicht da angelangt, dass junge Männer dies verlangen. Wenn die Anfrage kommt, hängt es ‒ egal ob Mann oder Frau ‒ davon ab, ob man fachlich die erforderliche Qualität bietet. Ich stelle häufig fest, dass die jungen Anwälte von gemachten Bildern ausgehen und nicht den Mut haben, zu fragen. Hier hat und wird sich gesellschaftlich noch viel ändern, denn immer mehr Frauen sind gut ausgebildet und wollen sich die Familienarbeit aufteilen. Damit dies langfristig gelingt, ist aber auch Flexibilität seitens der Mitarbeiter gefragt, indem diese sich entsprechend organisieren, um bei Bedarf uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen. Es braucht auf beiden Seiten Flexibilität und den Willen, sich nach den Bedürfnissen der Mandanten zu richten.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?

Auf den Mandaten, vor allem denen mit USA-Bezug, hatte ich bereits vor zwanzig Jahren immer wieder Kontakt mit weiblichen Juristinnen und merkte, wie gewandt und eloquent sich diese durchsetzen konnten. Das war beeindruckend. Aus meiner Generation hatte ich damals kein konkretes Vorbild.

Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!

Hamburg/Zürich, 29. Juli 2019. Das Interview führte Charlotte Rosenkranz.

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