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Fanny de Weck

Dr. Fanny de Weck im Porträt

"Im Völkerrecht ist aktuell – wie überall auf der Welt – vieles im Wandel, und das ist gut so."

Rechtsanwältin Dr. Fanny de Weck über ihre Arbeit zu Migrations-, Strafrecht und internationalen Menschenrechtsschutz in der Praxis und die Schnittstellen zur Lehre. 

Liebe Frau de Weck, Sie sind Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Migrations-, Strafrecht und internationaler Menschenrechtsschutz. Zuvor haben Sie promoviert und in Bern beim Bundesamt für Justiz (BJ) gearbeitet. Würden Sie empfehlen, während der Promotion Berufserfahrung zu sammeln, statt eine Stelle an einem Lehrstuhl anzutreten?

Wer einen Arbeitgeber hat, der die Arbeit an einer Dissertation ermöglicht, der sollte diese schöne Chance nutzen und Praxiserfahrung sammeln. In meine Dissertation floss viel von meiner beruflichen Erfahrung im internationalen Menschenrechtsschutz ein. Und umgekehrt profitiere ich in der praktischen Arbeit von meinen akademischen Tätigkeiten. Wer allerdings eine akademische Laufbahn anstrebt, ist an einem Lehrstuhl besser aufgehoben – nur schon der Kontakte wegen. 

Sie haben im Jahr 2019 mit einer Kollegin und einem Kollegen eine Kanzlei gegründet. Wie kamen Sie auf die Idee? 

Rechtanwältin Dr. Stephanie Motz, Rechtsanwalt Dr. Babak Fargahi und mich verbindet das Interesse am Migrationsrecht und internationalem Menschenrechtsschutz. 

Wir hatten ursprünglich angedacht, ein Netzwerk für Menschenrechtsanwält*innen zu lancieren. Doch irgendwann fragten wir uns: Weshalb gründen wir nicht eine Kanzlei? Und so begann es. 

 

Sie dozieren und publizieren regelmässig. Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, Praxis in die universitäre Lehre zu integrieren?

 

Sehr wichtig. In der Schweiz wird das vielerorts vernachlässigt. Nehmen wir die Grund- und Menschenrechte: Die Frage, wie man diese auf nationaler Ebene effektiv durchsetzen kann, wird an Universitäten zu wenig behandelt. Es ist zwar unerlässlich, die Theorien hinter den Menschenrechten, die internationalen Organisationen oder Gerichte in Sachen Menschenrechte und das materielle Recht zu kennen. Wer aber nicht weiss, wie die Menschenrechte konkret im Rechtsalltag durchgesetzt werden und welche bürokratischen, finanziellen und psychologischen Hürden Betroffene in der Praxis überwinden müssen, der kennt nur die halbe Wahrheit über die Menschenrechte. 

Warum haben Sie sich entschieden, als Rechtsanwältin im Bereich des Völkerrechts tätig zu sein, statt etwa bei internationalen Organisationen wie zum Beispiel den Vereinten Nationen oder in der Bundesverwaltung?

Die Arbeit in internationalen Institutionen und beim Staat ist nicht nur spannend, sie ist für unsere Gesellschaft äusserst relevant. In grossen Institutionen kann es freilich passieren, dass man jahrelang im Bereich Menschenrechte arbeitet, ohne auch nur einmal mit Betroffenen in direkten Kontakt zu kommen. Das wollte ich vermeiden. So war es für mich nach vielen guten Jahren im internationalen Bereich klar – ich will in die Advokatur.  

Wie sieht Ihr Berufsalltag als Rechtsanwältin aus?

Es gibt Tage, an denen ich von früh bis spät unter Menschen bin: sei es im Austausch mit Klient*innen oder ihren Angehörigen, sei es bei Gefängnisbesuchen. In manchem Gespräch ist die Kommunikation wichtiger als das Juristische. An anderen Tagen arbeite ich allein und in Ruhe an einer Rechtsschrift. Und dann stehen natürlich die Gerichtsverhandlungen an. Wir prozessieren vor dem lokalen Bezirksgericht bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Der Alltag ist abwechslungsreich, ich mag die ganz unterschiedlichen Facetten des Berufs. Als Selbständige in einer kleinen Struktur habe ich auch Administratives zu erledigen. Und ehrlich gesagt ist das manchmal erholend.

 

Was sehen Sie als die grössten Herausforderungen in ihrem Beruf?

Als prozessierende Rechtsanwältin trage ich hohe Verantwortung und handle oft unter Zeitdruck. Solchen Stress muss man denn auch mögen. Im Bereich Migration und Menschenrechtsschutz steht man als Selbständige*r zudem unter Kostendruck. Allerdings ist der Beruf unglaublich spannend: Ich habe mich in der Advokatur noch nie auch nur eine Stunde gelangweilt. Obendrein bin ich als selbständige Rechtsanwältin politisch und institutionell völlig unabhängig – das ist Freiheit. 

Wie gehen Sie damit um, wenn Ihre Klienten und Klientinnen Ihnen traumatische oder tragische Erlebnisse schildern?

Es nimmt einen mit, und man hofft, mit dem juristischen Werkzeug helfen zu können. Im Vergleich zu den Betroffenen bin ich als Rechtsvertreterin allerdings in einer privilegierten Situation. Doch etwas ärgert mich sehr: nämlich, wenn Behörden und Gerichte aus politischen Gründen oder aus Angst vor der öffentlichen Meinung den Grundrechten weniger Gewicht verleihen, als sie müssten und könnten. Dies geschieht im Migrations- und Strafrecht leider regelmässig. Sobald es um Migrant*innen oder um Personen «mit Migrationshintergrund» geht, beobachte ich auf staatlicher Seite oft eine erstaunliche Empathielosigkeit, die dann krass unverhältnismässige staatliche Eingriffe nach sich ziehen kann. Das ist unheimlich. 

Welche Tipps haben Sie für Berufsanfänger*innen, die eine juristische Karriere mit Bezug zu Menschenrechten anstreben?

Wer in die Praxis der Menschenrechte strebt, sollte einen Einblick in möglichst viele Realitäten des Berufs gewinnen, bevor man sich festgelegt. Wertvoll war jede Station, die ich durchlief. Rückblickend hätte ich gern noch weitere Erfahrungen gesammelt, etwa mit einem Praktikum bei einer Staatsanwaltschaft. Überdies sollte sich jede Anfängerin allmählich überlegen, wo sie eine echte Expertise aufbauen kann und will. Die Menschenrechte sind ein breites Feld, sie betreffen viele Rechtsbereiche: Strafrecht, Migrationsrecht, Familienrecht, Gleichstellungsfragen, Datenschutz bis hin zur Digitalisierung. Mir scheinen namentlich jene Menschenrechtler*innen besonders schlagkräftig zu sein, die auf ihrem spezifischen Gebiet echte Expertise haben, ohne den Blick für das grosse Ganze zu verlieren. 

Sie engagieren sich im Bereich Grundrechte und Rechtsstaat. So waren Sie in der Denkfabrik «foraus» aktiv und sind im Vorstand des Vereins «Unser Recht» sowie des Vereins «Aktion Vierviertel». Warum braucht es dieses Engagement ergänzend zu Ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin? 

Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Grund- und Menschenrechtslage in der Schweiz alles in allem recht gut. Trotzdem bleiben auch bei uns unhaltbare Defizite, die politisch angegangen werden müssen: einst waren dies das Frauenstimmrecht oder die sog. Verdingkinder – heute haben wir eine der härtesten Einbürgerungsgesetzgebungen Europas, weswegen selbst Personen, die hier geboren und aufgewachsen sind, keine Aufenthaltssicherheit haben. Ein Viertel der ständigen Wohnbevölkerung hat keinen Schweizer Pass und mithin keine demokratischen Rechte. Das ist nicht vertretbar, wird aber kaum über Rechtsverfahren zu lösen sein. Daher stammt mein Engagement auch auf politischer Ebene, um dieses Beispiel anzuführen. 

Der Verein «Unser Recht» setzt sich unter anderem für die Weiterentwicklung des Völkerrechts ein. Was sehen Sie am Völkerrecht kritisch und wo besteht Handlungsbedarf?

Im Völkerrecht ist aktuell – wie überall auf der Welt – vieles im Wandel, und das ist gut so. In meinem Alltag beschäftigt mich die Diskrepanz zwischen akademischem Diskurs und Praxis. Im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes erscheint eine Unmenge an Aufsätzen in wissenschaftlichen Journalen, die in der Regel weder von der Anwaltschaft noch von nationalen Richter*innen oder Staatsanwält*innen gelesen werden. Hier geht Energie verloren, die sich gewinnbringender einsetzen liesse. Von Völkerrechtler*innen wünsche ich mir mehr Beobachtung der nationalen Praxis und Rechtsprechung – auch derjenigen im eigenen Land. 

 

Ihr Engagement vereinbaren Sie mit Beruf und Familie – Sie haben einen Sohn. Vollzeit arbeitende Mütter sind noch immer keine Selbstverständlichkeit. Was müsste sich gesellschaftlich ändern für eine reale Gleichstellung von Vätern und Müttern?
Was es braucht, ist klar: Kostenlose oder zumindest erschwingliche Kitas für alle, Tagesschulen, eine paritätische Elternzeit. Erst dann haben wir die Freiheit zu wählen, wer sich wie und wie oft um die Kinder kümmert – egal ob Mann oder Frau. Vorderhand herrscht diese Freiheit für Frauen in aller Regel nicht, es sei denn, sie sind vermögend. Die enormen Kitakosten drängen namentlich im unteren Mittelstand einen Elternteil dazu, zu Hause zu bleiben, meistens die Frau. Wahlfreiheit sieht anders aus.

Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden soll?

 

Rausan Noori. Sie ist eine ausgewiesene Fachfrau zum Konsumkreditgesetz, eine engagierte selbständige Rechtsanwältin. Auch arbeitet sie weiter für die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht. Regelmässig publiziert und doziert sie. Sie hat einen ausgesprochen spannenden Parcours, dank dem sie auf ihren Gebieten zu einer meinungsführenden Persönlichkeit gediehen ist.

Vielen Dank für das spannende Interview! 

Zürich, 27. November 2021. Dr. Fanny de Weck hat die Fragen schriftlich beantwortet. Die Fragen wurden von Lena Götzinger und Audrey Canova vorbereitet.

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